Mayen/Koblenz - Der Messerstecher (21) aus Mayen steht vor Gericht: Er wollte seine Freundin (20) zur Rede stellen. Er wollte wissen, ob sie ihn betrügt. Er wollte Schluss machen und nach Berlin ziehen. Ob es tatsächlich so war, ist nicht restlos geklärt. Fest steht nur: Der 21-Jährige massierte seine Freundin - und rammte ihr plötzlich ein Messer in den Rücken. Immer wieder stach er zu. Jetzt steht er wegen versuchten Mordes vor dem Landgericht Koblenz. Ihm droht eine lange Haft.
Es muss ein Bild des Grauens gewesen sein an jenem 18. Oktober 2012, kurz vor 22 Uhr: Mehrere Polizisten rasen im Streifenwagen zum Tatort in Mayen. Auf der Straße stürzt ihnen die 20-Jährige entgegen, sie trägt einen Morgenmantel, blutet am ganzen Körper. Und sie schreit: "Er ist drin! Er will meine Mutter abstechen!" Die Polizisten stürmen ins Haus. Dort sitzt die Mutter, der Täter kauert vor ihr, hält sich sein Messer an den Hals. Die Polizei überwältigt ihn. Die Mutter bleibt unverletzt, die Tochter kommt mit Stichwunden in Rücken, Bauch, Mund, Beinen und Händen in die Klinik. Zwei Wunden waren laut einem Arzt potenziell tödlich.
Jetzt, vier Monate später, trafen sich alle in Gerichtssaal 102 in Koblenz wieder. Der Messerstecher, seine Ex-Freundin, ihre Mutter. Der 21-Jährige - Turnschuhe, Gelfrisur, Halskette von der Ex-Freundin - erzählte mit ungewöhnlichem Eifer zur Selbstbelastung seine Lebensgeschichte: Hauptschulabschluss, keine Ausbildung, keinen Führerschein, Streit mit den Eltern, psychische Probleme. Meist sitzt er vor dem Computer, zockt das Rollenspiel "World of Warcraft" ("Welt des Kriegshandwerks"). Er spielt Level für Level, erbeutet neue Waffen, tötet "Bosse" und "Monster". Zum Schluss hat er 30 Charaktere, spielt rund um die Uhr, manchmal ein bis zwei Tage durch. In der Computerwelt ist er angesehen. Dort ist er wer. 2007 lernt er in der Schule seine Freundin kennen. Wenn er nicht am Computer sitzt, reden sie über Musik, übers Ritzen, über Drogen. Mal macht er Schluss, mal sie. Mal kommt sie zurück, mal er.
Der Angeklagte erzählte im Prozess von seinen sämtlichen Beziehungen - bis ihn der Vorsitzende Richter Ralf Bock unterbrach: "Könnten wir mal in den Oktober 2012 wechseln? Wir sind hier ja nicht beim Paartherapeuten."
Dann schilderte der 21-Jährige die Wochen vor der Tat: Er denkt über sein Leben nach - und bekommt "grenzwertige Fantasien". Er glaubt, sein Problem sei seine Freundin. Er will ihr wehtun, dann beschließt er, sie zu töten. Er kommt am 18. Oktober zu ihr, sie gehen in ihr Zimmer. Er beendet die Beziehung und überredet sie zu einer letzten Massage. Dann sticht er zu - bis die Mutter dazwischen geht und das Opfer flüchten kann. Bei der Polizei erklärt der Mann: "Das war heimtückischer Mord." Und: "Ich wollte meine Freundin umbringen."
Im Prozess sagte der Täter zu seiner Ex-Freundin: "Es tut mir leid, dass ich dir das angetan habe." Die erwiderte: "Ich weiß nicht, was ich damit anfangen soll." Sie hat bis heute Schmerzen, die Wunden verheilen schlecht. Sie will umziehen, die Schule wechseln. Weil sie das Getuschel der Mitschüler nicht erträgt - und weil sie vergessen will. Der Prozess geht am Montag weiter.
Von unserem Redakteur Hartmut Wagner